Mit Schule kann man die Welt ändern. Das ist eine starke Aussage. Sie kommt von einem Lehrer, der die Initiative ergriffen hat und mit Kollegen eine neue Schule gegründet hat, Gut Loberthal. Seit 2 Jahren sind dort Menschen dabei, Kinder in einer offenen Landschaft lernen zu lassen. Sie beziehen sich auf die Ursprünge der Waldorfpädagogik, auf Handlungspädagogik und demokratisches Lernen nach der Theorie des Lernens durch Engagement. Sie begleiten die Kinder beim Erkunden an inner- und außerschulischen Lernorten und organisieren sich selbst, mit Mandaten und Arbeitsgruppen, die gemeinschaftlich festgelegt und von der Schulgemeinschaft getragen sind.
Ein Blick in eine selbstverwaltete Schule – futuristisch bis utopisch.
Aber ich durfte für Forum Kulturwandel Bildung 3 Tage die Klausurtagung dieser Schule moderierend begleiten und kann sagen, was ungewohnt bis unmöglich klingen mag, es findet statt. Das Kollegium wollte die aktuelle Struktur der Selbstverwaltung überarbeiten und dabei die Entscheidungsprozesse genauer ansehen. In Vorbereitung der Gründung wurden Kreise gebildet, die ihre Arbeit aufgenommen haben, um den Schulbetrieb gut vorzubereiten und schnellstmöglich aufnehmen zu können. In Orientierung an den Leitlinien der Schule wurden sie festgelegt und an die nötigen rechtlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten angelehnt. In ihnen wirkten Lehrer, Eltern und Interessierte gemeinsam an dem Ziel der Schulgründung. Der Schulbetrieb wurde vor 2 Jahren aufgenommen, mit zunächst einer, dann einer zweiten Klasse, in Baracken auf einem Geländer, das noch zu gestalten war und ist, in Kooperation mit einer Demeter-Landwirtschaft in der Nähe.
Tag 1: Ich habe mit einer Interview-Runde Fragen zur Organisation gestellt, was gefällt, was nicht so, wofür ist sie da. Die etwa 15 Teilnehmenden haben unkommentiert ihre Meinung gesagt, der Reihe nach, ohne dass sie unterbrochen worden sind oder ihre Aussage in Frage gestellt wurde. Nach einer kurzen Pause gab es Theorie zum soziokratischen Entscheidungsweg aus dem holokratischen Prinzip der Selbstorganisation. Mit kritischen Fragen und Anmerkungen ging dieser Teil in eine Diskussion über, ob das ein wirkungsvolleres Entscheidungsinstrument ist als die demokratische Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip. Im dritten Teil des Tages haben wir den Entscheidungsprozess einmal durchgespielt.
Bei der soziokratischen Entscheidungsfindung ist die Orientierung an dem Ziel und Zweck der Organisation ganz wichtig, denn die Einwände, die jede*r vorbringen kann, sind in einem sachlichen weniger persönlichen Sinne gedacht. So wurde klar, dass das Leitbild eine zentrale Rolle spielt bei der Selbstorganisation, denn alles Handeln bezieht sich nicht darauf, was eine*r sagt oder irgendjemand irgendwann mal festgelegt hat, sondern was gemeinschaftlich im Leitbild der Organisation verankert und in diesem Sinne zu tun ist. Für den nächsten Tag stand dann das Leitbild als erster Tagungspunkt auf der Agenda:
Wir schaffen gemeinschaftlich einen Lern- und Lebensraum, den dieErwachsenen und Kinder zusammen liebevoll verantworten und in dem sich Jede*r frei entfalten und entwickeln kann.
Tag 2: Einige neue Kolleg*innen hatten sich das Leitbild noch nie so richtig vor Augen geführt und die genaue Betrachtung desselben hat mehr Klarheit in ihre Arbeit und die Zusammenarbeit in der Organisation gebracht. Diesen Schritt des Innehaltens und sich noch mal Vergegenwärtigens, was mache ich hier eigentlich, warum, mit welcher Intention und Vision. führte zu der Vereinbarung, , sich in den wöchentlichen Konferenzen das Leitbild immer wieder anzusehen. Im Wesentlichen wird es nach wie vor von allen unterstützt, angemerkt wurde, dass zwei Gesichtspunkte noch deutlicher beschrieben werden sollen. Die nächste Sequenz am zweiten Tag diente weiter dem Verständnis von Entscheidungsprozessen, diesmal mit der Auflistung der Merkmale demokratischen und soziokratischen Entscheidens. Schon in der Leitbildarbeit hatte sich das Bedürfnis herausgestellt, die Arbeitskreise genauer anzusehen, da nicht allgemein klar war, wer macht was wozu und was braucht der Kreis noch, um besser arbeiten zu können und mit anderen Kreisen Überschneidungen zu sehen und zu nutzen. Der zweite Tag endete mit der Vorstellung der Arbeitskreise, die anhand von einigen Leitfragen dargestellt wurden.
Tag 3: Die Klausurtagung hatte das Ziel, gemeinsam übereinzukommen, nach welchem Entscheidungsmodell und in welchen Gremien Entscheidungen gefällt werden sollen. Nach der eingehenden Beschäftigung mit Entscheidungswegen und den Kreisen, in denen Entscheidungen anstehen. sind die Anwesenden übereingekommen, das soziokratische Entscheidungsprinzip zu adaptieren und nach den Sommerferien zu reflektieren, ob es für die Gemeinschaft eine anwendbare Methode ist.
Meine Aufgabe war es, den Raum für den Austausch zu ermöglichen. Durch den Interview-Einstieg, bei dem jede*r Teilnehmende zu Wort gekommen ist, gab es eine geübte Gesprächskultur, die über die Tage eingehalten wurde. Ziel war vor allem auch für die neu hinzugekommenen Kolleg*innen neben den neu etablierten Entscheidungswegen auch Klarheit über die Organisation und den eigenen Platz in ihr zu bekommen. Es war schön zu sehen, mit welchem Ernst sich alle um die gemeinsame Sache bemüht haben und von Sequenz zu Sequenz ihre eigenen Befindlichkeiten in den Hintergrund gerückt sind. Es ist mir leicht gemacht worden, die Gespräche zu strukturieren und die drei Sequenzen des Tages offen zu gestalten, denn alle Teilnehmenden haben sich durchweg konstruktiv eingebracht. Sehr spannend war für mich, zu sehen, dass ein offenes Workshop-Design, das einem Ziel folgt, durchaus umzusetzen ist. Die erste Sequenz mit dem Interview zur derzeitigen Organisation hatte ich konkret mit Fragen vorbereitet. Auch der daran anschließende theoretische Teil zur Entscheidungsmethode war geplant. Alles weitere hat sich aus den vorherigen Sequenzen ergeben. Die Zeiteinheiten hatten wir vorab verabredet. Sie haben sich aus meiner Sicht absolut bewährt. Kurze Zeiteinheiten in intensivem Austausch mit Ruhepausen dazwischen haben zu dem gewünschten Ergebnis der Klausurtagung beigetragen.
Danke an das wunderbare Kollegium für diese bereichernde Erfahrung, die ich machen durfte – futuristisch, utopisch aber ganz handfest real.