Die Coronakrise fordert alle an Schule beteiligten Akteur:innen stark heraus. Im akuten Krisenmodus werden viele innovative Lösungen gefunden und Konzepte im Bereich der Digitalisierung aktiviert und umgesetzt, die kurzfristig Handlungsoptionen eröffnet haben und in vielen Fällen auch die digitale Kultur an Schulen vorantreiben, viele Schulleitungen und Lehrkräfte wünschen sich jedoch einen grundlegenden Perspektivwechsel und eine nachhaltige, zukunftsorientierte Transformation des Bildungssystems.

Die großen Herausforderungen liegen zum einen darin, Innovationen wirksam zu verankern und methodische Ansätze und Strategien zu etablieren, die Schulen auf dem Weg in eine nachhaltige Schulentwicklung in der digitalen Welt begleiten. Zum anderen ist es wichtig, für schulische Akteur:innen Handlungsperspektiven und Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen. Konkret heißt das: Wie können (digitale) Schulentwicklungsprozesse in der Schulgemeinschaft etabliert und begleitet werden: Welcher Kompetenzen und Strukturen bedarf es, um einen “gelungenen” Transformationsprozess für alle Beteiligten umzusetzen? Und: Wie können Schulleitungen, Schulträger, Bildungsverwaltung und zivilgesellschaftliche Akteure einen Raum schaffen, in dem tragfähige Strukturen und Prozesse erarbeitet und etabliert werden?

Diesen Fragen wollen wir in unserem Workshop “Die Schule aus der Zukunft heraus gestalten” am 20.11.2020 auf der Konferenz Bildung Digitalisierung 2020 nachgehen. Hier haben wir schon einmal einige Gedanken und methodische Überlegungen dazu aufgeschrieben.

Vom WAS zum WIE – mit Vision zu einer gelingenden Transformation

Ideen und Projekte gibt es meist viele – aber wir entsteht daraus eine tragfähige langfristige Vision für die Zukunft? Eine (gemeinsame) Vision ist die Voraussetzung für gelingenden Wandel. Diese Vision kann nur individuell sein, denn sie ist an den jeweiligen Kontext und die Möglichkeiten der Beteiligten gebunden. Und sie muss von einer Schulgemeinschaft, einer Kommune, einem Bildungsverbund gefunden werden – bestenfalls in einem partizipativen Prozess entstehen – damit sie von allen getragen werden kann. Die Umsetzung der Vision setzt voraus, dass sich die beteiligten Menschen auf einen Entwicklungs- und Lernprozess einlassen können und wollen. Dafür ist es im Führungshandeln wichtig einen kommunikativen Rahmen zu schaffen, der auf Empathie, Wertschätzung und Vertrauen basiert und der alle Akteur*innen in ihrer Gestaltungsfähigkeit aktiviert.

In der katholischen Don-Bosco-Schule Rostock teilt Schulleiter Gert Mengel seine Ideen und Fragen zum Lernen der Zukunft in monatlichen Rundmails mit der Schulgemeinschaft und öffnet gemeinsam mit einem Vater der Schule in 14tägigen Meet-ups einen virtuellen Impulsraum für Eltern, Lehrer:innen und Schüler:innen mit inspierenden Beispielen und Menschen – als Auftakt zu einem langfristig angelegten transparenten und partizipativen Schulentwicklungsprozess.

Im Johann-Heinrich-Pestalozzi Gymnasium Stadtroda erproben ausgehend von einer Arbeitsgemeinschaft Schulentwicklung Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern in ELSA-Gruppen neue Formen der Zusammenarbeit und setzen von Schulhofgestaltung über Digitalisierung bis Leitbildarbeit gemeinsame Anliegen um. Dabei geht es natürlich auch darum, was entsteht, vielmehr aber um eine alternative Form des Miteinanders. Das Credo der Schulleitung ist: allen Raum zum Gestalten geben.

So wie es bei der Gründung einer handlungspädagogisch orientierten Waldorfschule in Leipzig geschieht, wo Eltern, Pädagog*innen und Akteur*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft eine ko-kreative Entwicklung des Schulprogramms in monatlichen Workshops und Werkstätten erproben.

Kulturwandel braucht neue Kommunikations- und Kooperationsmuster

Wir haben hier bewusst nicht die Leuchtturmprojekte gewählt, von denen z.B. auf der Webseite der Deutschen Schulakademie viele beschrieben sind. Wir wollten niedrigschwellige Möglichkeiten aufzeigen, wie ein Kulturwandel an Schulen angestoßen werden kann. Kulturwandel an Schulen bedeutet, so haben es Britta Klopsch und Anne Sliwka jüngst beschrieben, die “Orientierung auf eine Lernkultur, in der neue Kommunikations- und Kooperationsmuster wirksam werden.”

Dafür kann es hilfreich sein, dass wir Entwicklungsprozesse aus einer anderen Perspektive betrachten – nämlich aus einer zukunfts- und potenzialorientierten Perspektive. Darauf zielt unsere Arbeit mit Forum Kulturwandel Bildung. Am Beispiel der Methode “Explorer” aus unserem U-Learn-Programm möchten wir Euch anregen, einen neue Kommunikationserfahrung auszuprobieren und alternative Handlungsstrategien zu entwickeln. So geht’s:

Vorbereitung

Findet Euch in einem Team von 3 Personen zusammen. Nehmt Euch für diese Methode 30 Minuten Zeit. Legt folgende Rollen fest: Erzähler*in, Berater*in, Zeit- und Methodenwächter*in. Achtet darauf, die Zeit einzuhalten und die einzelnen Schritte möglichst genau so umzusetzen. (3 Minuten)

Durchführung

Schritt 1: Als Erzähler*in beschreibst Du eine aktuelle Herausforderung in Deinem beruflichen Kontext. Gehe darauf ein, welche Herausforderungen Du gerade hast, wie andere Beteiligte die Situation einschätzen, was Du erreichen möchtest und was Du aufgeben oder lernen kannst. Sage den Berater*innen konkret, wobei Du Unterstützung benötigst. (10 Minuten)

Schritt 2: Die Berater*innen hören Du aufmerksam zu und kannst wertschätzende Fragen stellen (bitte verzichtet auf Ratschläge). (max. 2 Minuten)

Schritt 3: Nehmt Euch Zeit für Stille: Welche Bilder, Vergleiche, Gesten, Gefühle entstehen? (2 Minuten)

Schritt 4: Die Berater*innen teilen Bilder, Vergleiche, Gesten, Gefühle, die in der Zeit der Stille aufgetaucht sind (jeweils 3 Minuten).

Schritt 5: Als Erzähler*in hörst Du aufmerksam zu und teilst mit den Berater*innen, was das Gehörte in Dir auslöst. (2 Minuten)

Schritt 6: Gemeinsam fragt Ihr nach neuen Perspektiven auf die Herausforderung der/des Erzähler*in. Baut dabei auf den Bildern, Vergleichen etc. auf. Bleibt im Modus des Beobachtens und Beschreibens (bitte verzichtet auf Lösungsvorschläge). (5 Minuten)

Schritt 7: Nehmt Euch Zeit für Reflexion: Wie geht es mir mit dieser Methode? Was hat die Methode bei mir gestärkt? Wie kann ich die Methode in meinem (beruflichen) Kontext anwenden? Schreibt die Antworten auf. (3 Minuten)

Follow up

Führt die Methode noch einmal durch, so dass alle alle Zuhörer*in bzw. Erzähler*in sein können. Sucht Euch einen (beruflichen) Anwendungskontext für das in der Übung Erfahrene. Was könnt ihr schon umsetzen? Teil eure Erfahrungen in einem gemeinsamen Treffen und überlegt, wie ihr Wege und Partner*innen finden könnt, um eure Herausforderung konkret anzugehen.

Wir haben diese Methode für einen konkreten Workshopkontext angepasst. Grundsätzlich ist es besser, sich für diese Methode länger Zeit zu nehmen. Wir empfehlen insgesamt mindestens 45-60 Minuten. Ihr könnt “Explorer” auch in einer Gruppe von 5 Personen ausprobieren. Passt dazu die Zeiten entsprechend an.

Mit der Theorie U (digitalen) Kulturwandel im Bildungssystem gestalten

Explorer” basiert auf der Methode “Case Clinic”, die C. Otto Scharmer im Rahmen der Theorie U entwickelt hat. Sie zielt darauf, Empathie und ko-kreative Erfahrungen zu stärken, indem wir die Art und Weise des Zuhörens verändern und auf lösungsorientiertes Handeln verzichten.

Mit der Theorie U hat C. Otto Scharmer einen Ansatz geschaffen, in dessen Zentrum die Frage steht, wie wir unsere Handlungen wirklich anders gestalten können, damit wir (gesellschaftliche) Prozesse verändern können. Diese Frage basiert auf der Erkenntnis und Erfahrung, dass wir in der Regel immer mit ähnlichen Handlungsmustern auf unterschiedliche Herausforderungen reagieren. Darum fallen uns Veränderungsprozesse so schwer. Wir erleben uns selten als gestaltend, sondern zumeist als reaktiv. Wir haben schlichtweg nicht gelernt, WIE wir in Entwicklungsprozessen wirksam agieren bzw. wie wir selbst Veränderungen anstoßen.

“Unsere Überlegungen basieren auf der These, dass wir, um von der entstehenden Zukunft her zu agieren, den inneren Ort, von dem aus wir handeln, verändern müssen. Dazu müssen wir in unserem Urteilen innehalten, unsere Aufmerksamkeit umwenden, die Vergangenheit loslassen und uns in die entstehende Zukunft hineinlehnen, die uns braucht, um real zu werden.”

(Otto Scharmer, Katrin Käufer: Von der Zukunft her führen, 2014, S. 14)

 

Wir neigen dazu, so beschreibt es C. Otto Scharmer, Abkürzungen zu nehmen. Wir möchten schnell von A nach B. Darauf zielen sehr viele Tools und Konzepte, die uns einen möglichst schnellen, strukturierten und erfolgreichen Veränderungsprozess versprechen. Die Herausforderung ist aber: Wir müssen den Moment der Veränderung bewusst gestalten und bewusst erlebbar machen bzw. erleben. Nur so können wir in einen neuen Modus des Handels kommen, aus dem heraus wir gemeinsam eine Wirklichkeit kreieren können, die wir möglicherweise heute noch gar nicht kennen. Uns auf diese Erfahrung einzulassen, ist einer der wirksamsten Motoren für nachhaltige Entwicklungsprozesse.

In Bezug auf den schulischen Kontext bedeutet das, einen Rahmen zu schaffen, der es ermöglicht, Kommunikationsmuster auf allen Ebenen der schulischen Kommunikation weiterzuentwickeln (zwischen Lehrenden, zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen Eltern und Schule, zwischen Schule und Schulträger und außerschulischen Partnern). Hybride Lernumgebungen und digitale Lösungen, die eine Kultur auf Augenhöhe befördern, können hier wichtige Weichen in Richtung einer zukunftsorientierten Organisations- und Lernkultur stellen. Dass jedoch die Technologie und deren geschulte Umsetzung allein keine nachhaltige Veränderung generiert, erleben viele Akteur*innen im Bildungsbereich. Dies führt zu der oft beschriebenen Erfahrung, dass es trotz allen Bemühens und Implementierens doch nicht voran geht und das System erstaunlich widerständig ist gegen die Veränderungen, die so gerne umgesetzt werden wollen. Eine neue Möglichkeit ist darum, die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung zu lenken und dort hinzuschauen, wo der “blinde Fleck” in der bisherigen Herangehensweise liegt.

Deshalb entwickeln und verbreiten wir mit U-Learn einen Ansatz, der es möglich macht, in einem von Offenheit und Empathie geprägten Raum das eigene Gestaltungspotenzial zu erfahren, zu stärken und in einem ko-kreativen Prozess wirksam werden zu lassen. Als Ergebnis entstehen neue Perspektiven, Möglichkeiten und Initiativen für gelingende Entwicklungsprozesse und Veränderung. Sie können helfen, den (digitalen) Wandel in der Bildung auch und gerade in der aktuellen Krisensituation erfolgreich und für alle Beteiligten gewinnbringend zu gestalten.

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